Sonntag, 29. März 2015

[Rezension] Dunkelsprung - Vielleicht kein Märchen

Leonie Swann | Einzelband | Goldmann | 19,99€ | OT: / | November 2014 | 384 Seiten | Meine Wertung: 3,5/5

Julius Birdwell, Goldschmiedemeister, Flohdompteur und unfreiwilliger Einbruchkünstler, wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich eine ruhige, unbescholtene Existenz führen zu können. Doch als seine Flohartisten einem plötzlichen Nachtfrost zum Opfer fallen und die geheimnisvolle Elizabeth Thorn in sein Leben tritt, überstürzen sich die Ereignisse. Ein Magier wird ohnmächtig, eine alte Dame macht sich in einem gestohlenen Lastwagen davon, ein Detektiv mit Konzentrationsstörungen findet zu einem ungewöhnlichen Haustier, und Julius sieht sich auf einmal mit existentiellen Fragen konfrontiert: Wie befreit man eine Meerjungfrau? Wie viele Flöhe passen auf eine Nadelspitze? Und warum ist das Leben trotz allem kein Märchen?
Julius bleibt nichts anderes übrig, als sich weit über den Tellerrand seiner Welt hinauszulehnen und den Sprung ins Unbekannte zu wagen. Ein phantastisches Abenteuer beginnt ...

Ein blauer Vorhang teilt sich, eine weiß behandschuhte Hand nimmt unser Ticket entgegen.

 »Niemand ist einfach nur, was er ist, und niemand ist vollkommen das, was andere in ihm sehen. Wir sind alle etwas dazwischen.«
(Seite 71)

"Das ist kein Märchen! [...] Im Märchen wurde einem von allen Seiten geholfen. Feen und weiße Zauberer und hilfreiche Wesen tauchten aus der Versenkung auf und lösten alle Probleme. Im wahren Leben hingegen halfen einem höchstens Verkäufer oder Herrenausstatter [...]."
(Seite 329)

Das Cover kommt schlicht mit zwei Farben aus, aber die etlichen Verzierungen, in denen man immer neue Wesen entdeckt, lenken doch den Blick auf sich.


Schon der ungewöhnliche Klappentext verspricht ein ungewöhnliches Buch.
Dieses Versprechen wird absolut gehalten.

Der Anfang ist schon sehr verwirrend. Nach dem Prolog, der einen ersten Vorgeschmack auf etwas Magisches außerhalb des Begreifbaren gibt, lernt man Julius Birdwell kennen, einen etwas sonderbaren jungen Mann, der wie sich herausstellt Direktor eines Flohzirkus ist. Dann erfolgt ein Zeitsprung ungefähr ein halbes Jahr zurück, um zu erklären, wie es dazu kam, dass Julius in einem verfallenen Hausboot wohnt.
Es ist nicht das einzige Mal, dass nicht chronologisch erzählt wird. Vor allem anfangs kommen die Erklärungen oft erst nach dem Geschehen, sodass es nicht leicht ist, den Handlungsstrang zu verfolgen. Aber sobald man sich richtig in die Geschichte eingefunden hat, wird es aufregend.


Julius muss den Sprung ins Abenteuer wagen, um seine begabten Flöhe wiederzubekommen und eine Rechnung mit einer Nixe zu begleichen. Nicht zu vergessen Elizabeth Thorne, die Milch verachtet oder Detektiv Green mit dunkler Vergangenheit, der seiner Wahrnehmung nicht immer trauen kann. Darunter mischt sich die Frage, welche Bedeutung die ältere Dame hat, die mit einem gestohlenen Lastwagen geflohen ist und in ihrer Wohnung allerlei sonderliche Dinge hinterlassen hat.
Viele Charaktere tragen zu der Story bei und das Personenverzeichnis am Anfang hat sehr geholfen, den Überblick zu behalten.

Die Charaktere sind wie das gesamte Buch selbst außergewöhnlich. Wäre da Julius Birdwell, dessen Leben seine Flöhe sind, ein scharfsinnig und gleichzeitig verrückter Privatdetektiv oder die etlichen skurrilen Kreaturen, die man sich gar nicht vorzustellen wagt. Auf die Idee mit den Flöhen muss man erst einmal kommen und obwohl es zunächst seltsam ist, Passagen aus Flohsicht mit Flohgedanken und Flohinstinkten zu lesen, ist es doch auf alle Fälle eine ganz neue und interessante Sichtweise.
Die Eigenarten, die alle Charakteren innehaben, sind wie vieles andere im Buch gewöhnungsbedürftig, doch machen sie einen Großteil dessen aus, was man schließlich an den Charakteren mag. Sowohl Green als auch Julius und die anderen sind mir sympathisch geworden, ganz besonders das niedliche Legulas ist eine Attraktion! Ebenfalls die Charakterentwicklung ist beachtlich.


Nach einer Weile habe ich gemerkt, dass man nicht zu sehr an der Rationalität festhalten darf, denn sonst wird es recht konfus. Doch hat man erst die bizarren Charakteren und deren Verhaltensweisen, wie zum Beispiel, fremden Menschen mit Hörnern und Hufen auf Anhieb zu vertrauen oder sich mit eigenartigen Reptil im Schrank zu verstecken, akzeptiert, kann man nur bewundern, wie abstrus und gleichzeitig logisch alles erscheint.
Dabei schafft es die Autorin, viele Handlungsstränge der einzelnen Charaktere immer mehr zu einem großen Ganzen zu vereinen und die Idee hinter der Geschichte zu verdeutlichen. Damit wurde auch meine anfängliche Frage, worauf alles hinauslaufen wird und welche Rolle die Figuren zu spielen haben, beantwortet. Die Wendungen sind zwar vorausschaubar, doch es wird spannend und ich konnte wirklich mitgerissen werden.

In den Schreibstil muss man sich ebenfalls zuerst einfinden, aber wenn man das geschafft hat, ist er wundervoll passend und flüssig zu der Geschichte zu lesen. Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven vieler Charaktere erzählt, sodass die Story von allen Seiten beschrieben wird, aber wegen des häufigen Wechselns im Übergang etwas holprig geschieht.

Dunkelsprung ist vielleicht kein Märchen, vielleicht aber doch. Vernunft und Fantasie sind hier eng verwoben und sobald man sich von den anfänglichen Schwierigkeiten und der offenbaren Skurrilität gelöst hat, kann man der Realität mit diesem ungewöhnlichen Buch ein bisschen mehr entfliehen als normalerweise.
Gute 3,5 Eulen!
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Interview mit Leonie Swann zu Dunkelsprung

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