Mittwoch, 8. März 2017

Rezension | Den Mund voll ungesagter Dinge

Anne Freytag | Einzelband | heyne fliegt | 14,99€ | März 2017 | 400 Seiten

 Wenn Sophie es sich aussuchen könnte, wäre ihr Leben simpel. Aber das ist es nicht. Und das war es auch nie. Das fängt damit an, dass ihre Mutter sie direkt nach der Geburt im Stich gelassen hat. Und endet damit, dass Sophies Vater plötzlich beschließt, mit seiner Tochter zu seiner Freundin nach München zu ziehen. Alle sind glücklich. Bis auf Sophie.

Was hat es bloß mit dieser verdammten Liebe auf sich? Sophie selbst war noch nie verliebt. Klar gab es Jungs, einsam ist sie trotzdem. Bis sie in der neuen Stadt auf Alex trifft. Das Nachbarsmädchen mit der kleinen Lücke zwischen den Zähnen, den grünen Augen und dem ansteckenden Lachen. Zum ersten Mal lässt sich Sophie voll und ganz auf einen anderen Menschen ein. Und plötzlich ist das Leben neu und aufregend. Bis ein Kuss alles verändert.


Es schüttet.

 "Manchmal glaube ich, dass die Monster, die früher unter meinem Bett gewohnt haben, irgendwann unbemerkt in meinen Kopf gezogen sind. Und da bleiben sie jetzt, weil da oben immer was los ist."
(Seite 86)

Seit Mein bester letzter Sommer, welches eins meiner Jahreshighlights geworden ist, habe ich vorfreudig darauf gewartet, dass ein neues Werk von Anne Freytag erschien. Als ich dann von Den Mund voll ungesagter Dinge erfuhr und es dann auch noch als Überraschungspost erhalten habe, war ich begeistert. Ich habe bisher nur wenige LGBT-Storys (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) gelesen, was ich aber vermehrt tun möchte, und war mir sicher, dass Anne Freytag diesen Inhalt erneut authentisch und ergreifend verpackt.

Die Liebesgeschichte ist in der Tat überaus gelungen! Sie baut sich zart, aber spürbar auf und erreicht ein stürmisches Crescendo. Stets begleitet von all den Unsicherheiten, dem verzweifelten Verlangen, den Tränen der Enttäuschung; gleichzeitig aber auch vom hellen Ton des Glücks, Momenten der Freude und tiefer Verbundenheit. Anne Freytag erzeugt in mir ein plastisches Bild der Emotionen und setzt das Thema berührend um. Die Chemie zwischen Sophie und Alex stimmt, sowohl ihre Freundschaft als auch ihre Liebe haben mich beeindruckt.

Thematisiert wird auch das Thema Familie, ebenfalls mit Hoch und Tiefs, wie es eben der Fall ist. Sehr schön fand ich die Annäherung von Sophie an ihre neuen Familienmitglieder, obwohl es ihr anfangs schwer fällt. Ganz zu schweigen von ihrer Freundschaft mit ihrem besten Freund Lukas - die musste ich sehr bewundern.


Soweit dazu. Jetzt kommen die Dinge, die ich nicht hundertprozentig loben kann.
Das Buch mag mit LGBT eine neue Schublade öffnen, doch das hindert es nicht daran, selbst eine Handvoll Klischees zu erfüllen - was es stellenweise recht vorhersehbar macht.

Zunächst Sophie. Bei ihr bin ich etwas zwiegespalten. Ich fand es doch schon ziemlich ironisch, wie Sophie sich darüber auslässt, unter welchem Klischee weibliche Buchcharaktere stehen und dabei selbst so viele Punkte davon erfüllt. Sie ist ein Teenager, okay, geht durch recht schwierige Zeiten und sowieso ist es für den Leser manchmal gar nicht erforderlich, die Protagonisten zu mögen. Ich hatte nichtsdestotrotz das Gefühl, dass die Autorin es vorziehen würde, dass Sophie von den Lesern gemocht wird, gerade wegen ihrer problematischen Eigenschaften. Naja, bei mir hat es nicht geklappt. Sie hat ihre sympathischen Seiten und manchmal fühlte ich mich ihr regelrecht nah, trotzdem muss ich anmerken, dass sie auch unreif und furchtbar egozentrisch ist. Ja, womöglich machen diese Ecken und Kanten ihren Charakter echt, aber sie sind auch etwas, woran ich mich negativ gestoßen habe (um es wie auf Seite 294 auszudrücken).

Die Kapitel sind kurz gehalten, der Stil flüssig, sodass ich das Buch an einem Tag beenden konnte. In Ausnahmefällen sind die Kapitel jedoch für meinen Geschmack zu kurz und nicht aussagekräftig genug, sodass dort mehr Handlung gut getan hätte. Vereinzelte Längen sind durch Wiederholungen oder unnötige Beschreibungen entstanden; das hält sich aber wirklich im Rahmen.

Die Sprache ist oft obszön und deutlich jugendlicher als in Mein bester letzter Sommer, dabei hatte ich mich schon auf Poesie und wundervolle Zitate gefreut. Die finden sich hier zwar auch in Ansätzen, aber insgesamt hat mich der Schreibstil dieses Mal nicht sonderlich umgehauen.

Allerdings gibt es auch in diesem Buch wieder eine Playlist und die Kapitelaufmachung mit den kleinen Zeichnungen ist wirklich süß.

Den Mund voll ungesagter Dinge war trotz meiner teils wirklich großen Kritikpunkte eine lohnenswerte Leseerfahrung, was vor allem der Entwicklung der hervorragend ausgestalteten Liebesgeschichte zu verdanken ist.

Knappe 3,5 Eulen

→ Rezension zu Mein bester letzter Sommer

8 Kommentare:

  1. Huhu meine liebste Noemi, <3

    ich war ja wirklich extrem gespannt auf deine Meinung zum Buch, da du ja schon geschrieben hast, dass du Kritik äußern wirst. Deine negativen Dinge kann ich auch nachvollziehen, auch wenn es mir anders ergeht. Ich mochte, wie du ja weißt auch Sophie sehr gerne, obwohl sie viele der typischen Merkmale bedient. Ich liebe auch Annes Schreibstil sehr und mag es auch unglaublich, dass Worte im allgemeinen und die Musik wieder eine so große Rolle spielen.

    Deine Rezi ist wie immer großartig geschrieben :-*

    Drück dich fest,
    Ally

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    1. Dankeschön, meine liebe Ally, auch dafür, dass du meine Kritik verstehen kannst - gerade bei Büchern, die man selbst liebt, fällt einem das nicht immer leicht, so geht es mir jedenfalls :)♥

      Von Annes Schreibstil war ich in "Mein bester letzter Sommer" verzaubert - dieses Mal hat er das leider nicht ganz geschafft. Aber ich freue mich wirklich, dass so viele vom Buch begeistert waren, ich hoffe, das bin ich auch wieder, sobald ein neues von Anne erscheint :)

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  2. Huhu!

    Das Buch muss ich mir wirklich merken, ich wollte eigentlich auch mal wieder eine LFBT+ Geschichte lesen.

    Ich habe ein Faible für schwierige Protagonistinnen, vielleicht wäre Sophie ja genau die Richtige für mich! :-)

    Ich habe diesen Beitrag HIER für meine Kreuzfaht durchs Meer der Buchblogs verlinkt!

    LG,
    Mikka

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    1. Das könnte tatsächlich zwischen dir und Sophie klappen, wenn du schwierige Protagonistinnen magst - und zu denen gehört Sophie zweifellos!

      Ich danke dir, Mikka!

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  3. Hallöchen,
    mir ging es wie dir. Nach "Mein bester letzter Sommer" wollte ich unbedingt mehr von Anne Freytag lesen. "Den Mund voll ungesagter Worte" hat mir vom Klappentext her zwar überhaupt nicht zugesagt, aber ich wusste, dass mich der Schreibstil wieder fesseln würde. So war es dann auch.

    Dass es eine LGBT-Story ist, wusste ich nicht. Das hat mich dann wirklich überrascht! Irgendwie war das alles gefühlstechnisch ziemlich überladen, was gut war. Es hat zur Handlung beigetragen und mich mitgerissen. Aber manchmal war es beinahe schon hart, weiterzulesen. (Ich meine zum Beispiel, die Klo-Szene mit Nik - hieß er so?)

    Also alles in allem muss ich sagen, dass Anne Freytag das wirklich perfekt umgesetzt hat! Wie du sagst, sind die Familienverhältnisse toll erzählt und wie sich Sophie ihrer neuen Familie annähert. Aber auch ihre Unsicherheit wegen ihren Gefühlen. Es ist alles so stimmig und real.

    Mit Sophie musste ich mich auch erst mal anfreunden. Sie ist mir auch nicht wirklich sympathisch, aber sie passt zur Geschichte und ich hätte es mir mit keinem anderen Charakter besser vorstellen können.
    Bei mir hat das Buch eher wegen de LGBT-Thema nicht perfekt abgeschnitten. Das ist einfach nicht so mein Fall. Ich lese Liebesgeschichten lieber in der Konstellation, in der sie auch bei mir möglich wären :D

    Ich habe dich in meiner Rezension verlinkt. Ich hoffe, das ist okay für dich :)
    Liebste Grüße
    Kate ♥

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    1. Sorry für meine sehr späte Antwort, ich habe eine Handvoll Kommentare, deren Moderation noch ausstehend war, glatt übersehen :/

      Erstmal danke für deinen langen und lieben Kommentar, Kate und fürs Verlinken, das ist natürlich mehr als okay. :)
      Es freut mich, dass du das Buch so toll fandst! Wenn sie gut umgesetzt sind, mag ich LGBT Liebesgeschichten genauso gern wie die "üblichen", aber generell möchte ich mehr LGBT-Storys lesen, davon gibt es im Kontrast zu den anderen so wenige. Aber da sind wie überall ja auch die Geschmäcker verschieden :D

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  4. Hallo Noemi,
    ich habe das Buch auch gerade frisch gelesen und ich fand es so gut! Mein bester letzter Sommer war eines meiner ersten Bücher von der Autorin und es war auf jeden Fall ein Jahreshighlight. Ich finde "Ein Mund voll ungesagter Dinge" kann da absolut mithalten.
    Ganz besonders gefällt mir auch dieser wundervolle Schreibstil der Autorin. Ein wenig poetisch, mit sehr bildlichen Metaphern und einem sehr positiven Lebensgefühl, was zwischen den Zeilen mitschwingt.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. "Mein bester letzter Sommer" war letztes Jahr auch eins meiner Jahreshighlights. "Ein Mund voll ungesagter Dinge" hinterlässt bei mir mittlerweile schon wieder einen bitteren Nachgeschmack, aber es ist schön, dass du deine Freude damit hattest! :) Den Schreibstil habe ich dort gar nicht wiedererkannt...ich bin aber gespannt, wie mir dann ihr nächstes Buch gefällt :D

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